30. April 2008

Von Dichterinnen, Scheintoten und aufmüpfigen Äbtissinnen – Stift Gandersheim als Bühne der Weltgeschichte

Sei es die große erste deutsche Dichterin Roswitha, eine Äbtissin, die den Schleier verweigerte oder aber eine heimliche Geliebte, die den Scheintod mimte – das Stift Gandersheim hat zahlreiche historische Begebenheiten zu bieten.

Ruine Stift Gandersheim852 gründete das Geschlecht der Liudolfinger, aus denen die ottonischen Könige hervorgingen, das Gandersheimer Stift. Erste Äbtissin war Hathumod, die älteste Tochter des Gründerehepaares Herzog Liudolf von Sachsen und seiner Frau Oda. Schon im Alter von zwölf Jahren wurde Hathumod die Leitung dieses ersten Konvents von Stiftsdamen übertragen. Zunächst siedelte man den Konvent im Kloster Brunshausen an, weil die neuen Gebäude im Tal der Gande erst 29 Jahre später fertig gestellt wurden. Erst dann konnte die Stiftskirche bezogen werden, die im Jahr 877 unter den Schutz des Reichs gestellt und damit weitgehend unabhängig wurde.

Roswitha von Gandersheim – die erste deutsche Dichterin

Als Grablege der ottonischen Familie war das Stift Gandersheim seinerzeit das wichtigste Familienstift der Ottonen. Gandersheim war kein abgeschlossenes Nonnenkloster sondern ein Kanonissenstift, und eine der bekanntesten Persönlichkeiten lebte Ende des 10. Jahrhunderts als Kanonisse dort. Ihr Name war Hrotsvith von Gandersheim, heutzutage bekannt als Roswitha von Gandersheim. Im Gegensatz zu Äbtissinnen war es den Kanonissen erlaubt, die Verbindungen zur Außenwelt aufrecht zu erhalten, Eigentum zu besitzen, wieder auszutreten und zu heiraten. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, die Stundengebete zu singen.

Als erste deutsche Dichterin wurde Roswitha von Gandersheim bekannt und sie ist als Verfasserin historischer Dichtungen und geistlicher Schriften und Dramen bis heute berühmt.

Ihre Liebe zur Religion brachte sie in diversen Legenden zum Ausdruck, indem sie sich an der Heiligen Schrift, an apokryphen Evangelien oder Heiligengeschichten orientierte. Ihre Dramen erschuf sie nach dem Vorbild des römischen Dichters Terenz. Weiterhin schrieb Roswitha zwei Epen, die ebenfalls auf geistlichen Stoffen beruhen. Das erste Epos besingt die Anfänge des Klosters Gandersheim. Das zweite behandelt die Taten Ottos I., den sie sehr verehrte, ein Teil dieser Dichtung ist jedoch verloren gegangen.

In Roswithas Werken spiegelt sich ein harmonisches Miteinander der beiden großen Weltanschauungen des Mittelalters wider: die des Christentums und der antiken Philosophie. Strittig bleibt jedoch die Frage, ob Roswitha von Gandersheim wirklich existiert hat, oder ob sie gar selbst nur eine Legende oder ein Kunstgeschöpf ist. Stammen die berühmten Dichtungen vielleicht aus der Feder einer anderen und hat es die schriftenschaffende Kanonisse niemals gegeben? Oder hat sie zu einem späteren Zeitpunkt gelebt?

Ihr Grab wurde bisher nicht gefunden. Aber dass man nicht alle Rätsel lösen kann ist ja gerade der Reiz daran, die Geschichte zu erforschen und lebendig zu erhalten.

Die Äbtissin verweigert den Schleier

Eine weitere bekannte Persönlichkeit, die im Gandersheimer Stift lebte und wirkte, war die Kaisertochter Sophia, die von 1001 bis 1039 das Amt der Äbtissin versah. Sie erlangte Berühmtheit, weil man ihr nachsagt, sie habe bei ihrer Einkleidung zur Nonne im Jahr 987 die Annahme des Schleiers verweigert, der ihr vom Hildesheimer Bischof Osdag überreicht werden sollte. Dieser Vorfall ist im Kontext des so genannten Großen Gandersheimer Streites zu sehen, in welchem es um die Zuständigkeitsbereiche der Diözesen Hildesheim und Mainz für den Gandersheimer Stift ging. Kurz vor der Einkleidung hatte es angeblich zu allem Überfluss einen lautstarken Streit der verfeindeten Bischöfe in Anwesenheit der kaiserlichen Familie und dem Hofstaat gegeben. Durch die ablehnende Haltung gegenüber dem Hildesheimer Bischof demonstrierte Sophia ihre Meinung in dieser Angelegenheit, die erst 1206 durch Papst Innozenz III. zugunsten der Unabhängigkeit der Gandersheimer von den Ansprüchen Hildesheims entschieden wurde.

Was mag das für eine Frau gewesen sein, die es wagte, sich durch ihr Handeln in die politischen Streitigkeiten ihrer Zeit einzumischen? Ihrem Bruder Otto III. soll sie sehr nahe gestanden haben, zumindest beschenkte er sie reichlich mit Gütern und suchte nach dem Tode seiner Eltern ihren schwesterlichen Rat. Er berief sie sogar an seinen Hof und sie begleitete ihn 996 zu seiner Kaiserkrönung in den Petersdom zu Rom. Auch nach seinem frühen Tod sechs Jahre darauf mischte Sophia in der großen Politik mit und pflegte Kontakt zu den späteren Kaisern Heinrich II. und Konrad II. War sie tatsächlich geldgierig, stolz und herrisch, wie ihr manche Quellen andichten oder einfach nur eine Frau, die sich ihrer machtpolitischen Stellung als kaiserliche Tochter durchaus bewusst war und sie einzusetzen verstand?

Verbotene Liebe zu einer Klosterfrau

Eine durchaus andere Rolle spielte 500 Jahre später eine junge Dame. Sie wohnte zwar nicht in Gandersheim, besuchte es aber gelegentlich und ließ sich dort sogar zu Grabe tragen, als noch gar kein Bedarf dafür bestand. 1522 kam die etwa fünfzehnjährige Eva von Trott als Hofjungfer der Herzogin an den Wolfenbütteler Hof und Heinrich der Jüngere erlag ihren wohl nicht unbeträchtlichen Reizen. Schon bald entbrannte er in Liebe zu ihr, und bereits zwei Jahre später brachte sie ihr erstes gemeinsames Kind, auf das insgesamt noch neun weitere folgen sollten, auf die Welt. Um diese Aufsehen erregenden Folgen ihrer heimlichen Liebesbeziehung geheim zu halten, gab die Hofdame jedes mal dann vor, ihrer Heimat einen Besuch abstatten zu wollen, wenn die Niederkunft bevorstand. Während die Herzogin die junge Frau wohlbehalten im Schoße der Familie wähnte, begab sich Eva zur Staufenburg, pikanterweise der ehemalige Witwensitz der Herzogingroßmutter, um dort mit ihrem Kinde niederzukommen. Wenige Wochen später kehrte sie an den Wolfenbütteler Hof zurück, während sie ihren Nachwuchs von Vertrauten auf dem Schlosse aufgezogen wusste.

Als Eva nun aber zum vierten Male schwanger geworden war, fasste der Herzog den Entschluss, sie dauerhaft vom Hof und aus dem argwöhnischen Blick seiner Gemahlin zu entfernen. Um dieses zu bewerkstelligen behalf sich der listenreiche Kriegsherr eines ausgefeilten Täuschungsmanövers. Im Jahr 1532 gab er bei einem Bildschnitzmeister in Braunschweig eine lebensgroße Holzpuppe in Auftrag. Was dann folgt, lässt sich unschwer erahnen: Eva brach wieder vorgeblich auf, ihre Familie zu besuchen und verabschiedete sich wie gewohnt von ihrer Herrin. In Gandersheim angekommen, täuschte sie eine schwere Krankheit vor, die sie scheinbar innerhalb kürzester Zeit aus dem Diesseits verscheiden ließ. In Wahrheit, wir ahnen es schon, handelte es sich nur um einen Teil der ersonnenen List, denn die unversehrte werdende Mutter kleidete sich in Bauerngewänder und begab sich zur Staufenburg. Dem Volke präsentierte man die geschickt gestaltete Puppe, der die Bürger vorsorglich nicht zu nicht zu nahe kamen, denn man munkelte, die junge Dame sei an der Pest gestorben. Barfüßermönche bestatteten die Puppe feierlich in Gandersheim und ließen die Seelenmessen lesen, wie es übrigens auch die ahnungslose Herzogin in Wolfenbüttel veranlasste, als sie die Nachricht vom unerwarteten Versterben ihrer Hofdame erhielt.

Um die Täuschung komplett zu machen, ließ sich der Herzog von einem nicht eingeweihten Diener die Botschaft von Evas Tod übermitteln und vermochte sich wohl trefflich zu verstellen und erschüttert zu zeigen.

Gleich diesen Begebenheiten verbergen sich zahlreiche Schätze hinter historischen Mauern und an denkwürdigen Orten im Harz, die es zu bergen und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen gilt. Erstmals gab es daher im Februar 2008 den vom Harzer Verkehrsverband ins Leben gerufenen KulturWinter. Hier hatten kulturinteressierte Besucher der Harzregion die Möglichkeit, neben Bad Gandersheim auch andere Sehenswürdigkeiten zu besuchen und mehr über sie zu erfahren.
Und was wurde nun aus Heinrich und seiner scheintoten Liebschaft?

Vom Tage ihres vorgeblichen Dahinscheidens an wohnte Eva von Trott gemeinsam mit ihren Kindern auf der Staufenburg, und Heinrich stattete ihr häufige Besuche ab, denen – wer wundert sich da – wiederum ein vermehrter Kindersegen folgte.

So hätten sie wohl glücklich bis ans Ende ihrer Tage verbleiben können, wäre nicht auf dem Reichstag zu Regensburg 1542 diese Affäre an die Öffentlichkeit getragen worden. Nun, das hingegen ist jedoch eine andere Geschichte.

Weblinks

Weitere Informationen zur Geschichte des Stiftes Gandersheim und seiner Äbtissinnen bietet das Portal zur Geschichte.

(Inoki, Foto: Bildarchiv Harzer Verkehrsverband)

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