Lataste, Jean-Joseph


Jean-Joseph Lataste (1832–1869), Taufname Vital Alcide, französischer Dominikaner und Ordensgründer.

Lataste gründete zusammen mit der Ordenfrau Henri-Dominique Berthier die Gemeinschaft der Dominikanerinnen von Bethanien, eine der ca. 100 Kongregationen die zu der großen Ordensfamilie des Heiligen Dominikus gehören.

Leben
Jean-Joseph Lataste OP

Jean-Joseph Lataste OP

Vital Alcide Lataste wurde am 5. September 1832 als sechstes Kind des Weinbergbesitzers und Tuchhändlers Vital Lataste und seiner Frau Jeanne in Cadillac-sur-Garonne geboren. Noch kein Jahr alt, erkrankte Alcide, so der Rufname, schwer und wurde der Witwe Anne Neveu im nahen Loupiac zur Pflege übergeben. Er genas und konnte knapp drei Jahre später zu seiner Familie zurückkehren. Sehr früh schon äußerte das Kind den Wunsch sein Leben für Gott und die Kirche zur Verfügung zu stellen, es fühlte sich zum Priester berufen. In Bordeaux besuchte Alcide ab der 8. Klasse das sogenannte „Kleine Seminar“, das Schüler aufnahm, die einmal Priester werden sollten. Zweifel und Einwände des Vaters bedingten den Wechsel an das Kolleg in Pons.

Nach dem Ende der Schulzeit begann Alcide eine Ausbildung bei der Finanzverwaltung in Bordeaux. Hier lernte er Katholiken kennen, die in ihrer Freizeit in der Vinzenzkonferenz arbeiteten. Diese Konferenz basierte auf der 1617 von Vinzenz von Paul (1581–1660) gegründeten „confrérié de la charité“, einer Gemeinschaft der tätigen Nächstenliebe. 1833 griff Antoine Frédéric Ozanam (1813–1853) diese Idee wieder auf und gründete die Vinzenzkonferenzen mit dem Ziel den Hilfebedürftigen beizustehen. Hier lernte Alcide die negativen Auswirkungen der Industriealisierung kennen: Armut, Hunger, Kinderarbeit, Infektionskrankheiten, Alkoholismus und Prostitution. Er besuchte die Armen, verteilte Almosen und führte lange Gespräche um die Probleme der Menschen zu verstehen „wie oft habe ich die Wahrheit in Büchern gesucht; heut habe ich bei meinen Armenbesuchen gespürt, daß ich auf dem richtigen Platz bin“ (Feid, Flohr, 1978).

Erfahrungen während mehrerer Exerzitien und Bekanntschaften mit Ordensleuten ließen seinen Wunsch nach einem Leben als Priester oder Ordensbruder wieder wachsen. Die Liebe zu der jungen Léonide-Cécile de Saint Germain lösten jedoch erneut Zweifel und Gewissenskämpfe aus. Er rang mit der Entscheidung für oder gegen ein gottgeweihtes Leben. Als seine Freundin plötzlich an Typhus starb, flüchtete er nicht enttäuscht in ein Kloster. Erst zwei Jahre später, am 4. November 1857 trat Alcide ins Noviziat der Dominikaner in Flavigny-sur-Ozerain ein. Er erhielt den Ordensnamen Jean-Joseph. In Toulouse legte er am 10. Mai 1859 seine ersten Gelübde ab, die Weihe zum Priester erfolgte am 8. Februar 1863.

Zu seinen seelsorgerischen Aufgaben gehörte auch die Durchführung von Exerzitien für Strafgefangene in einem Frauenzuchthaus. Zunächst empfand er eine tiefe Abneigung gegenüber den Frauen, schließlich saßen sie wegen Diebstahl, Kindsmord und anderer Vergehen in Haft. Es erstaunte ihn, daß doch die meisten Frauen tiefe Scham und Reue zeigten und Trost in der Religion suchten. Nach einer Gebetsnacht schrieb er:

»Ich habe diesen Ort der Traurigkeit und des Schreckens für die Menschen in einen Ort der Glückseligkeit, in eine Stätte des Dankes und des Glückes verwandelt gesehen!… Ich sah arme Frauen, wie sie stundenlang zu Jesu Füssen gelegen sind, trotz aller Mühe des Tages und trotz der Last der Jahre; die sie an diesem Orte der Sühne und der Pein verbrachten. Aus eigenem Antrieb haben sie die Nacht an den Altären verbracht, 150 haben dort Nachtwache gehalten, und in der zweiten Hälfte der Nacht wurden sie von den nächsten 150 abgelöst“ (Evers, Evers 1948).«

Er erfuhr von den Problemen, die nach absolvierter Haftstrafe auf die Frauen zukommen würden. Die Gesellschaft schloß sie weiter aus. Eine Strafentlassene hatte keine Chance je wieder ein normales Leben zu führen, Arbeit und Wohnung blieben ihnen in der bürgerlichen Welt verschlossen. Eine Rehabilitation schien aussichtslos. Die ungewisse Zukunft führte viele Frau in den Suizid. Pater Jean-Joseph nannte die Frauen „meine Schwestern“ und tröstete sie durch den Vergleich mit der Sünderin Maria Magdalena aus dem Neuen Testament. Diese Heilige diente als Vorbild. Wie diese „stadtbekannte Sünderin“ von Jesus Liebe erfahren durfte, sollten auch diese Frauen Liebe erfahren. Die bloße Aufnahme und Betreuung in eine Einrichtung nach der Entlassung schien Pater Jean-Joseph zu wenig. Er wollte ein „Bethanien“ schaffen, ein Haus in dem die ehemals Straffälligen als Schwestern eine religiöse Gemeinschaft bilden und ein kontemplatives Leben führen sollten.

»Der Geist und die Seele von Bethanien ist die schwesterliche Gnadengemeinschaft. Christi Liebe, die jegliche Entfernung und jeglichen Unterschied aufhebt“ (Feid, Flohr, 1978).«

Mittels einer von ihm konzipierten Broschüre mit dem Titel Die Rehabilitierten warb Pater Jean-Joseph für sein Vorhaben. Trotz mannigfaltiger Widerstände aus kirchlichen und bürgerlichen Reihen konnte das Haus von Bethanien am 13. August 1866 Wirklichkeit werden. Zwei Dominikanerinnen und zwei Postulantinnen begannen mit dem klösterlichen Leben. Schwester Henri-Dominique Berthier, die Mitbegründerin, legte als erste Schwester in Bethanien ihre Profess ab, weitere Eintritte folgten.

Frauen aus den Gefängnissen konnten nun als Aspirantinnen in Bethanien eintreten. Sie wurden als »Kleine Schwestern«“ eingekleidet, wenn sie den Idealen und Regeln entsprachen. Nach erfolgreicher Rehabilitation und Ãœberprüfung des moralischen und spirituellen Verhaltens erhielten sie die Weihen als Chorschwestern oder Hilfsschwestern. Ihre Vergangenheit und ihr Vorleben spielte keine Rolle mehr, niemand konnte die ehemaligen Zuchthäuslerinnen von den ursprünglichen Dominikanerinnen unterscheiden.

Pater Jean-Joseph kämpfte weiter um die Akzeptanz der neuen Gemeinschaft und sorgte für die nötige finanzielle Unterstützung und die juristische Absicherung. Im Herbst 1868 erkrankte er schwer, am 10. März 1869 starb er 36-jährig in Frasne. Zu diesem Zeitpunkt lebten 13 Schwestern in der Gemeinschaft.

Ein Jahr nach dem Tod des Paters konnten die Schwestern in ein größeres Haus in Montferrand-le-Château umziehen. In den Jahren 1879, 1887 und 1889 existierten weitere Häuser. 1898 entstand die erste Niederlassung außerhalb Frankreichs, in Belgien. Während des Ersten Weltkrieges mußten die deutschen Schwestern fliehen. Sie gründeten in Venlo (Niederlande) eine neue, die sogenannte 2. Kongregation. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten viele Kinder als Vollwaise. Die Kongregation erkannte die Nöte der Zeit und gründete Kinderdörfer in Deutschland, in den Niederlanden und in Belgien, in denen die Waisen betreut wurden. Die Schwestern arbeiten heute in sozialpädagogischen und karitativen Einrichtungen in den Niederlanden, Deutschland, Italien, Lettland und Aruba (niederländische Antillen). – Nach dem II. Vatikanischen Konzil fand eine Neubesinnung und Vertiefung des Glaubens und der ehemaligen Zielsetzung des Stifters statt. Die Zuwendung zur säkularisierten Welt sollte im Vordergrund stehen. In Frankfurt, Aldenhofen bei Aachen, Leipzig, Essen und im Schwalmtal entstanden kleine Gemeinschaften mit verschiedenen Arbeitsschwerpunkten. Der Kreis der zu Rehabilitierenden wurde vielfältiger. Die Schwestern arbeiten, je nach Beruf und Begabung, in Gefängnissen, Krankenhäusern, in sozialen Brennpunkten, mit Kindern und in Not geratene, oft an den Rändern der Großstädte. Die Kongregation besitzt dort keine eigenen Häuser. Die Schwestern sind vor Ort als Ordensfrauen präsent und geben den Menschen neue Hoffnung und Perspektiven für ihr Leben. Die Niederlassungen der 1. Kongregation sind in Frankreich, Belgien, Schweiz, Italien, Österreich, USA und Großbritannien verbreitet. Hier handelt es sich um kontemplative Gemeinschaften ohne äußere Apostolatswerke.

Allen gemeinsam ist der Satz des heiligen Dominikus: „Contemplari et contemplata aliis tradere,“ d.h. „Was Du in der Beschauung erworben hast, gib an die Menschen weiter.“

Literatur

  • Emmanuelle-Marie: Angenommen – wie ich bin. – Freiburg/Schweiz, 1991
  • Evers Robert und Claude: Apostel der Gefängnisse. – Freiburg/Schweiz, 1948
  • Feid, Anatol, Flohr Florian: Frohe Botschaft für die Gefangenen, Leben und Werk des Dominikaners Lataste. – Mainz, 1978

Weblink

Ulrich Füsser

Letzte Änderung: 12. März 2009 

Kommentare

3 Kommentare zu “Lataste, Jean-Joseph”

  1. 4. Juni 2009 16:40

    Sehr geehrter Herr Füsser,
    wir haben uns aufrichtig gefreut, Ihren Beitrag im Internet zu finden und danken Ihnen sehr dafür. Es wird Sie nicht überraschen, dass wir als Insider hier und da eine kleine Anmerkung haben.
    1. … Er wollte ein „Bethanien“ schaffen, ein Haus … – Diese Formulierung setzt voraus, dass man weiß, was „Bethanien“ ist, das aber wurde aber erst von P. Lataste gegründet. An diese Stelle müsste also ein Bezug auf die Stelle im Evangelium (Zusammenleben von Martha und Maria im Haus von Bethanien) und auf die Theologie zur Zeit von P. Lataste, die in Maria von Bethanien die ehemalige Sünderin/Prostituierte etc sah, um den Namen zu erklären.
    2. In der kirchenrechtlichen Form der Kongregationen, zu denen Bethanien gehört, kann man nicht von „Weihe“ (… als Chorschwester oder …) sprechen, sondern es heißt Profeß. – Im selben Absatz steht auch die Formulierung „ursprüngliche Dominikanerinnen“, was unserem Empfinden nach quer zu dem ist, was P. Lataste wollte: alle (!), wenn sie einmal in Bethanien eingetreten sind, sind Dominikanerinnen, egal, was vor ihrem Eintritt ihr Weg war.
    3. Der letzte Absatz über die Entstehung der Kongregation der Dominikanerinnen von Bethanien-Venlo weist leider mehrere Fehler auf, darüber hinaus sollte man nicht von 1. und 2. Kongregatioon sprechen, sondern – wie dies formell auch richtig ist – von Bethanien-Montferrand und Bethanien-Venlo. Es wäre sicher gut, zu erklären, dass die deutschen Schwestern aus Frankreich fliehen mussten, weil sie als Angehörige des „Feindvolkes“ in Gefahr standen interniert zu werden. Die Gründungsgeschichte der Bethanien-Kinderdörfer hat mit den Halb- und Vollwaisen des Krieges nichts zu tun, sondern hat zwei Quellen: A. ein Internierungslager (Baexem) von Kindern niederländischer Eltern, die wegen ihrer Kollaboration mit den Nationalsozialisten inhaftiert waren. B. ein herkömmliches Waisenhaus in Breda, wo die dort tätigen Schwestern zurückgezogen wurden.
    „Der Kreis der zu Rehabilitierenden wurde vielfältiger.“ ist ein Ausdruck, der quer steht zu unserer Spiritualität, da wir davon ausgehen, dass wir alle von Gott Rehabilitierte sind und uns das gerade nicht voneinander unterscheidet. „Der Personenkreis, dem Bethanien seine Aufmerksamkeit zuwendet wächst.“ wäre eher der Realität entsprechend.
    Schließlich: in Schwalmtal entstand in dem Sinne keine kleine Gemeinschaft, sa hier seit 1952 Bethanien-Schwestern leben, es wurde hier zusätzlich eine andere Wohn- und Lebensform praktiziert (das kann aber, um Verwirrung zu vermeiden, entfallen.
    Sehr gerne stehe ich Ihnen für weitere Klärungsfragen zur Verfügung per Mail oder telefonisch (0031 – 475 – 569 333).
    Nochmals vielen Dank für Ihre Arbeit und viele Grüße
    Sr. Laetitia

  2. 5. Juni 2009 16:39

    Sehr geehrte Sr. Laetitia, ob Herr Füsser hier mitliest, weiß ich nicht. Aber ihre Anmerkungen sind sehr interessant und hilfreich. Vielen Dank dafür.

  3. Ulrich Füsser
    26. Dezember 2011 13:27

    Sehr geehrte Schwester Laetitia,
    leider entdeckte ich erst heute Ihre Anmerkungen. Vor der Veröffentlichung gehen meine Biografien immer an die Insider, d. h. an die entsprechenden Mutterhäuser. In Ihrem Fall betraf das die Biografien über P. Lataste und Schwester Henrika. Die Korrektur erfolgte über die Frankfurter Niederlassung der Dominikanerinnen von Bethanien nach Rücksprache und Freigabe mit dem Generalat in Thorn. Die Briefe und Mails aus den Jahren 2003 und 2004, auch mit Ihrer Unterschrift, befinden sich in meinem Archiv. Besonders der letzte Abschnitt, in dem Sie Fehler vermuten, erhielt die vorliegende Fassung auf Wunsch Ihrer Mitschwestern. Das Originalschreiben liegt vor. Scheinbar gibt es unterschiedliche Auffassungen zur Geschichte und Entwicklung innerhalb Ihrer Gemeinschaft, s. auch die verschiedenen Homepages der Niederlassungen. Da Geschichtsschreibung immer etwas Dynamisches ist und von den Menschen unterschiedlich wahrgenommen wird, sind neue Erkenntnisse immer willkommen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Ulrich Füsser

Was sagen Sie dazu?