27. März 2012
Steyler Missionare auf dem Jakobsweg – von Sevilla nach Santiago bis zum Grab des Apostels Jakob
Pilgern ist beliebt. Zu sich selbst finden steht hoch im Kurs. Auch Ordensmänner brauchen immer wieder eine Auszeit vom Alltag. Über ihre Erfahrungen während ihrer 40-tägigen Pilgerreise auf der spanischen „Via de la Plata“ des Jakobsweges berichten die Steyler Missionare Radek Musiol und Roland Scheid.
Mit wenig Hab und Gut bepackt machen sich Bruder Scheid und Frater Musiol gemeinsam unter dem sonnigen Himmel Spaniens auf den Weg. Die beiden haben ein großes Ziel, sie wollen den 1000 Kilometer langen Silberweg pilgern.
Exerzitien einmal anders! Die Steyler Ordensmänner reizt die Idee den Jakobsweg zu pilgern. Und wie der junge Steyler Frater Radek Musiol es nennt: „Ich seh‘ es als Chance um mich selbst als Ordensmann in Frage zu stellen und das weit weg vom Alltag.“ Sie wählen die „Via de la Plata“ eine Pilgerroute, die vom Süden Spaniens in den Norden führt. Einsam und naturnah, so soll es sein, gut geeignet für Exerzitien.
Der Weg, der vor ihnen liegt ist staubig und lang. Jeder Schritt im Sand ist mühsam. Die heiße Sonne im Nacken brennt. Und doch kommen sie voran, hinterlassen ihre Spuren im Sand. Wohin dieser Pfad sie als Nächstes führt, wissen sie noch nicht. „Jeder Mensch stellt sich in seinem Leben zwangsläufig die Frage: Ist der Weg, den ich gehe, der Richtige?“, sagt Radek Musiol.
Und genau deshalb sind die beiden hier: Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen. Und darum gehen sie: Schritt für Schritt für Schritt. Sie nehmen sich die Zeit, den eigenen Lebensstil und –weg bewusst zu hinterfragen. Auf einer Reise durch unbekanntes Land legen die beiden Missionare viele hunderte Kilometer zurück. Bei großer Hitze versuchen sie, in sich selbst einzutauchen. Radek Musiol hat sein kleines Notizbuch immer dabei. Er schreibt: „Ich versuche in mich und auf den Grund meiner Seele zu gehen um meine eigenen Grenzen zu spüren.“
Auf ihrer Reise durchstreifen sie kleine, manchmal verschlafene, fast verlassene Dörfer in Andalusien und der Extremadura. Wenige, kleine Häuser aus groben Steinen und Lehm gefertigt, formen die Dörfer in dieser Landschaft. Dahinter liegen meist steinige und trockene Äcker und Felder, einige abgeerntet und leer. Es sind verlassen Dörfer, in denen man mehr Hunde und Katzen antrifft als Menschen. Hier und da begegnen die beiden Pilgern ein paar Bewohnern. Diese sind meist alt. Die Jungen sind schon weggezogen. Besonders beeindruckend für Roland Scheid ist die ausgesprochene Gastfreundschaft: „Die Familien ließen uns in ihr Heim. Stellten uns Haus und Hof, Küche und Türschlüssel wie selbstverständlich zur Verfügung. Diese Gastfreundlichkeit erstaunt mich. Ich bin selbst Gastgeber in unserem Bildungshaus in Steyl und kann noch einiges von den heiteren Spaniern lernen“. Auch Radek Musiol erinnert sich gerne an die vielen kleinen Gespräche, mit den Einheimischen:
„Wir waren gerade dabei die Extremadura zu verlassen und suchten eine Herberge. Da kamen wir an einem Dorf vorbei. Viel weniger als ein Dorf! Es waren nur einige kleine, alte Häuser und eine sehr einfache Pilgerherberge: Vier Wände und eine Reihe von Stockbetten. Dort trafen wir eine ältere Spanierin an. Sie war wirklich sehr klein, gerade einmal 1,40 Meter groß. Doch ihre Persönlichkeit war größer als ihr gesamtes Haus“, erzählt er. „Sie ist die Besitzerin einer kleinen Bar und kam einfach in die Herberge und lud uns und Andere zum Essen ein. Ich war von der freundlichen Art der älteren, kleinen Dame ganz überwältigt! Wir blieben noch lange in der Bar und unterhielten uns mit ihr. Sie erzählte von ihren drei Kindern und beklagte sich, dass die Jugend heutzutage zu viele Freiheiten genießt. Da bleibt nicht viel Zeit für Arbeit und Schule. Sie erzählte aber auch von der Diktatur unter General Franco. Erzählte wie das Volk Spaniens und ihre Familie darunter litten. All diese traurigen und bedrückenden Dinge und trotzdem strahlte sie immer noch diese Lebensfreude aus“, berichtet Musiol.
Ihre Wanderung ist lang und hart. Rhythmische Schritte auf staubigen Boden, durch weite Landschaften. „Langsam lösten sich alle Ketten und Lasten, Sorgen und Nöte“, so Roland Scheid. „Man gehört niemanden außer sich selbst und diesem weiten Himmel über sich. Irgendwie unbemerkt ist dieser weite Himmel in meine Seele eingezogen und hat sich dort samt den schönen Landschaften und dem Gefühl der Freiheit einfach breit gemacht! Man fühlt sich freier, einfach entspannter.“
Es ist nicht leicht, die Balance zwischen besinnlichem Schweigen und der südländischen Geselligkeit zuhalten. „Wir haben gerne miteinander gesprochen aber auch gerne zusammen geschwiegen. Es war manchmal einfach sehr schön, schweigend die Landschaften zu bewundern. Einige wenige Pilger, die wir getroffen haben, haben sich ähnlich verhalten. Es war nicht die Unterhaltsamkeit des Weges, wie wir sie aus Hape Kerkelings Buch kennen. Viele Pilger haben bewusst keinen großen Kontakt untereinander gesucht. Wir haben uns bewusst auch Zeiten der Stille, der Reflektion gegönnt aber auch Abende in netter Gesellschaft von anderen Pilgern ausklingen lassen“ erzählt Radek Musiol. „Die großen Entfernungen und schönen Landschaften in einem rhythmischen Schritt zu durchwandern, haben fast von selbst zu einer gewissen Nachdenklichkeit gezwungen“, ergänzt Musiol. Und Scheid fügt hinzu: „Die Frage nach der Wahrhaftigkeit in unserem Leben drängt sich auf: Worauf kommt es an, was ist wichtig und was bleibt? Die kleinen Dinge im Alltag, im Leben, werden weniger wichtig, sie verschwinden – stattdessen rückt das Wesentliche mehr in deinen Blick.“
Am Ende des Weges angekommen, hat Sankt Jakob bei seiner Umarmung den Pilgern schon eine Antwort gegeben: „Sie ruht in der Freude, der Wirklichkeit und der Leichtigkeit dieses Himmels: Man lernt, die Dinge im Leben nicht so schwer zu nehmen und leichter, ja unbeschwerter zu leben!“
Wieder Zuhause angekommen geht der Pilgerweg in ihren Köpfen weiter. Bruder Scheid stellt fest, dass er mehr Fragen nach dem Pilgern hat als vorher: „Viele Fragen, die Zeit verlangen und deren Antworten vielleicht der weite Himmel mir einmal schenken wird.“ Frater Radek erklärt: „Viele Personen gehen mit zu hohen Erwartungen an eine Pilgerreise. Ich ging den Jakobsweg nun schon zum zweiten Mal und ich muss sagen: Ich bin kein anderer Mensch als vorher! Aber die Erfahrungen haben mich geprägt: Ich lerne zu relativieren, anderen Kulturen offener, toleranter zu begegnen und in meiner Art zu Bewerten Abstand zu gewinnen. So bekommen viele Dinge eine andere Bedeutung.“ Nach kurzem Zögern ergänzt er:„Ich bekam durch das Pilgern keine fertigen Lösungen oder Antworten präsentiert, das Suchen geht weiter.“
Lena Dörstelmann
Lesermeinungen
Was sagen Sie dazu?